This choice: Anja entschloss sich, den kleinen Mann zu verschonen • Go Back...Chapter #6Anja entschloss sich, den kleinen Mann zu versc... by: Black Rider   "Was hat er getan?" fragte Anja.
"Irrelevant. Du hast einen klaren Befehl und kannst dich nicht mit solchen Nebensächlichkeiten aufhalten. Was, wenn ich dir sagen würde, dass er ein Vergewaltiger ist?"
"Dann würde ich es in Erwägung ziehen."
"Und wenn ich dir sagen würde, dass er ein unbescholtener Pariser Bürger ist, der einfach nur das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein?"
"Dann nicht."
O-Rens Blick verfinsterte sich.
"Du bist nicht in der Position meine Befehle zu hinterfragen. Zieh augenblicklich deine Schuhe aus und stell dich auf diesen kleinen Bastard! Andernfalls kann ich für nichts mehr garantieren."
Anja nahm all ihren Mut zusammen.
"Nein!"
"Wie bitte?"
"N-n-nein. Ich habe mich einmal schuldig gemacht, ich werde nicht noch einmal einen Menschen töten, von dem ich nicht hundertprozentig sicher bin, dass er es verdient hat."
Stille.
O-Rens wunderschönes Gesicht nahm eine rötliche Färbung an, die von einem herrannahenden Wutausbruch kündigte. Doch sie behielt die Beherrschung.
"Also schön." Elegant schlüpfte sie aus ihren Turnschuhen und streifte in Sekundenschnelle ihre Socken ab.
"Dann werde ich es erledigen."
Anja hatte eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung für ein Leben zu kämpfen. Ganz gleich, was aus ihr werden würde.
Sie trat einen Schritt nach vorne und positionierte ihre beiden Füße schützend zwischen den immer noch wimmernden Winzling.
"Nein."
O-Rens Blick wurde noch finsterer. Wie eine Raubkatze, der man ihr Futter weggenommen hat, musterte sie die mit zitternden Knien dastehende Anja.
Dann begann sie zu strahlen.
"Glückwunsch! Du hast die dritte Hauptprüfung erfolgreich bestanden!"
Anja war fassungslos.
"Dann war das alles nur ein Test?"
"Nein. Nicht 'nur ein Test'. Der für mich wichtigste Test zur für mich wichtigsten Regel der Pressung. Regel Nummer 5: Befolge nie blind Befehle! Töte nie, ohne Informationen aus allererster Hand eingeholt zu haben! Um ehrlich zu sein, so viel Spaß, wie dir das Insektenzertrampeln gemacht zu haben schien, hatte ich leichte Sorgen, dass du den Test nicht bestehen würdest. Wir machen Schluss für heute."
Anja war gelinde gesagt erleichtert. Nicht nur, weil es sich hier um einen Test gehandelt hatte, sondern auch, weil sie ihn bestanden und O-Ren, vor allem aber sich selbst bewiesen hatte, dass sie noch nicht der ungeheuer anziehenden Macht über die ihr schutzlos ausgelieferte Kreatur erlegen war. Sie hatte noch ein Herz. Und ihren Verstand hatte sie auch wieder. Sie wusste nicht, was von beiden beruhigender war.
O-Ren hatte Strümpfe und Schuhe blitzschnell wieder angezogen und hob den kleinen nackten Mann behutsam zurück in ihre Zigarettenschachtel. Dann fütterten sie gemeinsam die überlebenden Insekten in ihren Terrarien und brachen auf.
Bei der Polizeistation stoppte O-Ren, stieg aus legte die Zigarettenschachtel vor den Eingang und klingelte. Als sie wieder im Auto saß, fragte Anja:
"Was wird aus ihm?"
"Wirst du gleich sehen!"
Mit einem Fingerschnippen von O-Ren, gefolgt von einem Zauberspruch, nahm der nackte Mann wieder seine normale Größe an, gerade noch rechtzeitig, um nicht von der hinausstürmenden Polizei zertreten zu werden. Diese nahm ihn sofort in Gewahrsam.
"Er war ein Verbrecher", beantwortete O-Ren die unausgesprochene Frage. "Für den Notfall, falls du dich doch zu diesem...nunja...Schritt entschieden hättest. Er war nur nicht von der Sorte Verbrecher, die unbedingt eine Pressung verdient hätten.
Regel Nummer 6: Wo immer möglich, lass das Gesetz die Drecksarbeit übernehmen. Unsere Fische sind von weit größerem Kaliber, glaub mir."
Im Appartment angekommen, aß Anja noch schnell eine Kleinigkeit und warf sich dann komplett erschöpft und hundemüde auf das Bett. Ihre Fußsohlen schmerzten noch von den vielen kleinen Geschöpfen, die unter ihnen den Todeskampf gekämpft hatten. Amara trat noch kurz herein und teilte mit, dass am nächsten Tag das Bezirzen auf dem Programm stand, da war Anja auch schon in einen wohlverdienten tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.
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